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Dr. Amal Erhaiem ist aus Syrien geflohen – im Sommer 2016 hat sie ein Praktikum in der Charité absolviert

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Dr. Amal Erhaiem (rechts) wurde von Gerda Koch, Flüchtlingshilfe beim Integrationsbund Mitte e.V., unterstützt, in einem mehrwöchigen Praktikum in der Charité Erfahrungen zu sammeln

Im Spätsommer 2015 hat das Thema die Nachrichten beherrscht wie kein
Zweites: Die Zahl der Flüchtlinge, die insbesondere aus Syrien nach Deutschland
und auch nach Berlin gekommen sind, ist nahezu täglich gewachsen und
hat die deutschen Behörden vor große Herausforderungen gestellt. Gerade die
medizinische Betreuung war noch nicht angemessen gewährleistet. In dieser Zeit
hatte der Vorstand der Charité beschlossen, vor Ort in den Flüchtlingsunterkünften
zu helfen und die Menschen in Not medizinisch zu betreuen. Doch das
Engagement der Charité ging schnell darüber hinaus, um den Geflüchteten
auch Angebote zur Integration zu machen, beispielsweise durch ein Praktikum
bei der Charité.

Dr. Amal Erhaiem ist Ärztin, sie stammt aus der syrischen Stadt Aleppo und lebt
seit rund eineinhalb Jahren in Berlin. Ihre Flucht aus Syrien begann vor über drei
Jahren. Zunächst verbrachte sie mit ihrer Familie rund eineinhalb Jahre in Libyen,
ehe sie den Weg über das Mittelmeer gewagt haben und nach Europa geflohen
sind. Mehre Tage waren sie unterwegs, ehe sie in Italien gelandet sind. Von dort
ging es für die Familie in Etappen nach Deutschland, schließlich nach Berlin.

Dr. Amal Erhaiem ist Allgemeinmedizinerin, in Syrien hat sie 18 Jahre als Ärztin,
hauptsächlich in der Geburtsmedizin gearbeitet. »Im Sommer 2016 habe
ich ein vierwöchiges Praktikum in der Charité absolviert, bei der Geburtshilfe
am Campus Mitte«, erklärt Dr. Erhaiem in flüssigem Deutsch. Derzeit besucht
sie einen Sprachkurs, der speziell für Berufsgruppen aus dem medizinischen
Bereich den entsprechenden Wortschatz vermittelt. »Für viele Patientinnen aus
arabischen Ländern konnte ich auch auf der Geburtsstation übersetzen«, so
konnte sie ihre neuen Sprachkenntnisse im Praktikum gleich einsetzen.

STARTCHANCEN FÜR GEFLÜCHTETEN MENSCHEN

Dass Dr. Erhaiem an der Charité ein Praktikum machen konnte, liegt auch an
Gerda Koch. Die Buchhändlerin im »Unruhestand« engagiert sich seit langem
in der Flüchtlingshilfe beim Integrationsbund Mitte e.V. Sie gibt dort Sprachkurse
und kümmert sich leidenschaftlich darum, den geflüchteten Menschen die
Startchancen in Deutschland zu erleichtern – so auch bei Dr. Amal Erhaiem.
»In der Zeitung habe ich morgens davon gelesen, dass sich die Charité für
Flüchtlinge engagiert. Und so habe ich gleich Professor Sehouli, einen Chefarzt
am Virchow-Klinikum, angeschrieben, ob er nicht eine Möglichkeit sehe, wie
Frau Dr. Erhaiem ein Praktikum beginnen könne. Er hat uns direkt an Dr. Seybold
verwiesen, der die Flüchtlingshilfe der Charité koordiniert. Dr. Seybold hat sich
dann um alles gekümmert«, fasst Gerda Koch zusammen. Im Gespräch ist schnell
zu spüren, welch großes Anliegen es ihr ist, Flüchtlingen zu helfen und sie auf
ein Leben in Deutschland vorzubereiten; egal ob sie für immer bleiben wollen oder
später in ihr Heimatland zurückkehren möchten. Die gelernte Buchhändlerin
hat später als Produktionsassistentin für das italienische Fernsehen gearbeitet.
In ihrem Leben ist sie viel gereist, auch in den arabischen Raum und nach
Nordafrika. Sie hat auch ein einige Jahre in Italien gelebt. Von ihrer Weltläufigkeit
und ihrer Herzlichkeit profitieren heute Menschen wie Familie Erhaiem.

PRAKTIKUM BEI DER GEBURTSMEDIZIN DER CHARITÈ

»Mein Mann ist auch Arzt«, berichtet Dr. Amal Erhaiem, »er ist Orthopäde. Er
war auch bei Frau Koch im Sprachkurs. Zurzeit macht er ein Praktikum in einer
orthopädischen Arztpraxis in Berlin.« Insgesamt haben die Erhaiems vier
Kinder – drei Töchter und einen Sohn. Der Sohn studiert mittlerweile in Rumänien,
natürlich Medizin. Die Töchter im Alter von 11, 14 und 16 Jahren gehen
in Berlin zur Schule. Auch hier könnte es sein, dass sich die Familientradition
fortsetzt und weitere Laufbahnen im medizinischen Bereich folgen werden.
»Auch mein Vater war Arzt«, erzählt Dr. Amal Erhaiem und lacht dabei herzlich.
In den Praktikumswochen auf der geburtsmedizinischen Station der Charité
habe sie viel gelernt, insbesondere bei der Nutzung vieler medizinischer Geräte,
die es so in Syrien nicht gab: »In Syrien haben wir sehr viele Spontangeburten
«, erklärt sie. Sie habe während des Praktikums viele Kontakte zu deutschen Kollegen und Kolleginnen in der Charité knüpfen können. Auch von den vielen Gesprächen habe sie enorm profitiert. »In Syrien ist es üblich, dass eine Allgemeinmedizinerin auch Geburtshilfe macht. In Deutschland ist das getrennt«, schildert sie ein aktuelles Problem, das sich gerade bei ihrer Zulassung als Ärztin stellt. »Die Anerkennung ausländischer Qualifikationen ist natürlich immer eine große Hürde«, schildert Gerda Koch. »Viele
Abschlüsse sind nicht ohne weiteres auf deutsche Vorschriften zu übertragen.
Oftmals sind Zusatzqualifikationen oder Zusatzprüfungen nötig, ehe man sich
offiziell um eine Stelle bewerben kann.«

»Die Anerkennung ausländischer Qualifikationen ist natürlich
immer eine große Hürde, viele Abschlüsse sind nicht ohne
weiteres auf deutsche Vorschriften zu übertragen.«

Aber so optimistisch wie die beiden Frauen dieses Thema derzeit angehen, wird
sich sicher eine Lösung finden. Doch Familie Erhaiem hat auch noch Verwandte
und Freunde in Aleppo – dieses Thema wiegt schwer. Sie hin und wieder telefonisch
zu erreichen, ist immer seltener möglich. Kein Wunder bei den verzweifelten
Bildern, die uns jeden Tag in den Fernsehnachrichten aus dieser nahezu
ausgelöschten Stadt erreichen.

Quelle: Charité Kompakt, Ausgabe 06 | November 2016

https://www.charite.de/fileadmin/user_upload/portal_relaunch/Mediathek/publikationen/patientenzeitungen/Charite_Kompakt_06.pdf